Eine Reise des Genusses
Vom Meer bis in die Berge riecht die Insel nach Salzluft, wilden Pflanzen und intensiven Aromen der sardischen Gerichte und Küchentradition
Frue, Burrida, Civraxiu, Fregula, Malloreddusu, Casizolu, Pani frattau, Filindeu, Tzilicca... Die Gaumen werden nicht durch eine Ad-hoc-Zubereitung verblüfft, sondern durch einfache, elegante Noten von gekonnt vermischten delikaten und zugleich robusten Aromen von Meer und Land, speziellen Gewürzen, extranativen Ölen und Wildkräutern. Die Gerichte werden mit uralten Gesten und Ritualen zubereitet, die von der großen Fertigkeit der traditionellen Küche zeugen. Die Seele des Gebiets kommt in den Gerichten junger Küchenchefs zum Ausdruck, die an keinem Ort gleich und tief mit der Erinnerung und Geschichte verwurzelt sind. In Sardinien ist nichts gleich: Ortschaften, Bräuche, Kultur und sogar die Sprache sind ungemein unterschiedlich. Dazu gehört auch das beliebteste „nicht-süße“ Dessert. Um es zu kosten, muss man in Nuoro eine Sevada, in Cagliari eine Seada anderswo eineSebada, Seatta oder Sabada bestellen. Es scheint jedes Mal ein anderer Kuchen mit neuen Nuancen zu sein, weil eine andere Art Käse aus roher oder gekochter Schafts- oder Kuhmilch und Art Honig benutzt wird, der im Süden milder und in anderen Gebieten säuerlicher schmeckt.
Eine Vereinheitlichung der sardischen Küche? Das ist wirklich kompliziert. Sogar in Ogliastra variieren die Culurgiones, die dort typisch sind. In Tortolì sie sind „leichter“ mit einer Füllung aus Kartoffeln, Minze und Zwiebeln, die hauptsächlich mit frischen und milden Käsesorten vermischt werden. Wenige Kilometer weiter gilt Zwiebel als Sakrileg, es wird Knoblauch verwendet und das Mischverhältnis der Käsesorten tendiert zum reifen Pecorino-Schafskäse und Su casu 'e fitta. Dieser gesalzene Käse wird mit wilder Minze für die Zubereitung einer Suppe aus der „Armenküche“ auf der Basis von Kartoffeln, Hülsenfrüchten oder Gemüse aus den hauseignen Gärten benutzt. Die alten und einfachen Rezepte der Alltagsküche bilden die Grundlage der mediterranen Ernährung und der blaue Zone Ogliastras, die heute auch in Restaurants geschätzt werden. Wie die Culurgiones geht die köstliche Supa Cuata aus Gallurien auf das Mittelalter zurück. Das Grundrezept wird in mehreren Varianten angeboten, denn die Kombination der Zutaten ändert sich von einer Gemeinde zur anderen. Die einzige gleichbleibende Zutat dieses schmackhaften Auflaufgerichts ist das hausgemachte, mindestens drei Tage alte Hartweizenbrot.
Andere Länder, andere Geschichten. Das leckere Pane frattau ist eine Delikatesse der Hochebene Barbagia, das vom Dorf zu den Schafställen in den Bergen mitgenommen wurde, wo die Hirten fern von zu Hause während der Transhumanz verweilten. Das traditionelle Rezept wird von Generation zu Generation weitergegeben. Die Blätter von Pistoccu oder Carasau Hirtenbrot werden in Fleischbrühe weichgekocht und schichtweise mit Tomatensauce und Pecorino-Schafskäse gewürzt und am Ende mit einem pochierten Ei versehen. Historische Ereignisse und atavistische Bräuche, die für jede Ecke der Insel typisch sind, haben dafür gesorgt, dass die Geschmäcker ebenso unterschiedlich sind, wie die Züge jedes einzelnen Gebiets. Oft identifiziert man die Gerichte mit den jeweiligen Orten: In Carloforte, eine Stadt am Meer, in der sich verschiedene Völker und Kulturen vermischt haben, gibt es nicht nur den besten Thunfisch im Mittelmeerraum, sondern auch ein ungewöhnliches Couscous-Gericht, das von den alten Seefahrern mit Basis in Sulcis übernommen wurde. Es gilt heute als ein typisches Gericht der traditionellen sardischen Küche, das fast so beliebt ist, wie das langsam geröstete sardische Spanferkelgericht Porceddu. In der fantasievollen Küche von Alghero erkennt man hingegen einen spanischen Einschlag. Der hochgeschätzten Hummer auf „katalanische Art“ ist ein absolutes Muss. Ein echter Leckerbissen.
Aus dem Meer Sardiniens kommen nicht nur Krustentiere, sondern eine Unzahl preiswerter Fische, die zu Gerichten von unvergleichbaren Geschmack verarbeitet werden. Es genügt ein Besuch am lebhaften Markt im Zentrum von Cagliari, um die Vielfalt und Frische des Fisches zu erkennen, der auf sardischen Tischen landet. Die mit Dornhai zubereitete traditionelle Fischsuppe Burrida auf Fischerart wird den Gästen sicherlich in Erinnerung bleiben. Dann gibt es noch Aale, die gegrillt oder als Füllung der Panadas de mari , die an die spanischen Empanadas erinnern, benutzt werden. Es handelt sich um eine Art Quiche, die mit Mürbteig, Su croxiu auf Campidanesisch, bedeckt wird. Je nach Geschmack und Saison werden die Panadas auch mit Lamm und Artischocken gefüllt. An den Marktständen sind nicht nur Miesmuscheln für Fischsuppen und Mollusken für die Zubereitung des traditionellen, köstlichen Gerichts Fregula de cocciula, erhältlich. Dieses gleichsam einfache und aufwändige Gericht wird aus Hartweizengrießkrümeln hergestellt, die in Tonschüsseln geröstet und von Zeit zu Zeit mit Fischbrühe aufgegossen und Wildkräuter gewürzt werden.
Einen unverwechselbaren Geschmack hat die Bottarga. Sie wird aus den Eiern von Meeräschen aus den Teichen um Cabras und Oristano hergestellt, die von Hand verarbeitet und von der Sonne und vom Mistral getrocknet werden. Das einfache Spaghetti-Gericht mit einem komplexen, herzhaften Geschmack, einem brackigen Aroma und einem mandelartigen Nachgeschmack wird zum sensorischen Erlebnis und „Tempel des Geschmacks“, wenn es mit ein wenig Bottarga aus der Halbinsel Sinis bestreut wird. Genauso wie das klassische Mailänder Risotto einen besonderen Geschmack bekommt, wenn es mit Safran aus Campidano zubereitet wird. Diese zwei Köstlichkeiten lassen sich leicht im Koffer mitnehmen, damit man auch zu Hause die ungewöhnlichen und reichhaltigen Aromen Sardiniens genießen kann.
