Rascheln und schneller werdende Schritte, in gleichmäßigem Rhythmus schlagende Hufe und Wagenräder, die sich im Gleichschritt bewegen. Cagliari ist wieder Schauplatz eines Umzugs von 2.500 in Trachten gekleideten Menschen, die aus ganz Sardinien anreisen, gefolgt von 270 Reitern, den Campidanesi, den Miliziani und der Guardiania. Ein Fest der Farben, Trachten, Klänge der Launeddas und der Is Goccius, den andachtsvollen Liedern: Vom 1. bis 4. Mai wird das Fest des Hl. Ephysius gefeiert. Es wird der Ereignisse des heiligen Kriegers zu Beginn des 4. Jh. gedacht und das an ihn gerichtete Gelübde während der Pest des Jahres 1652 aufgelöst. Eine ganze Insel steht still, um das fast vier jahrhundertealte Ritual zu wiederholen.
Eine hoheitsvolle 80 km lange Prozession, eine der ältesten und längsten der Welt, die alle Teilnehmer tief berührt, begeistert die Sarden, die sie schon immer gelebt haben, und tausende Touristen, die von der leidenschaftlichen Atmosphäre hingerissen sind. Sie nehmen unverkennbare Bilder und unvergessliche Momente mit nach Hause. Die Prozession geht um 12.00 Uhr von den Gässchen des historischen Stadtviertels Stampace weg. Der Umzug geht über einen bunten Teppich aus rosa, roten und gelben Blumen und duftenden Essenzen: Das ist das Ritual Sa Ramadura. Damit beginnt eine Reise durch die Kultur eines Volkes im Einklang mit Glauben und Authentizität.
Magie liegt über der Stadt: Das Quietschen der Traccas, den blumen- und obstgeschmückten Wagen, und der Gesang der Bruderschaften begleiten die Kutsche, die von zwei Ochsen gezogen wird, deren Hörner mit Blumenkränzen geschmückt sind. Der Weg führt vom Ort der Gefangenschaft zum Ort des Martyriums, dem Strand von Nora, wo die kleine romanische Kirche steht, die den Namen des Heiligen trägt. Es gibt viele Zwischenstationen: Am ersten Tag bei den Kirchen des Giorgino und Su Loi (Capoterra), danach bei Villa d’Orri. Am zweiten Tag, nachdem die Nacht in Sarroch verbracht wurde, ist eine Station in Villa San Pietro und die Ankunft in Pula vorgesehen. Die Rückkehr erfolgt nach diversen Festlichkeiten am späten Abend des 4. Mai. Bei der Rückkehr nach Stampace, füllen sich die Gassen und engen Straßen erneut mit tausenden Gläubigen, die sich am Ende der Feierlichkeiten mit einem Glückwunsch voneinander verabschieden: A atrus annus!
Jedes Fest des Hl. Ephysius, das schon zum 368. Mal stattfindet und bald zum immateriellen Kulturerbe der Unesco gehört, wird lange vorbereitet. Das ganze Jahr lang wird in allen Dörfern auf die über Generationen weitergegebene wertvolle Kleidung geachtet. Die Ordensbrüder des Gonfalone ziehen im Bußgewand und mit blauer Kutte und die Ordensschwestern in Schwarz und mit einem Schleier auf dem Kopf vorbei. Der Alter nos, der die Gemeinde repräsentiert, reitet in Frack und Zylinder und begleitet den Heiligen. Vor dem Rathaus, hält Ephysius, um die Huldigung der Gemeinde zu empfangen, während die Kirchenglocken festlich läuten und das Echo der Schiffssirenen zu vernehmen ist. Das ist der eindrucksvollste Augenblick, an dem alle ergriffen teilnehmen. Es beginnen der Pilgergang und die Feierlichkeiten.
Zu Beginn stand ein feierliches Versprechen, das die Gemeinde Cagliari am 11. Juli 1652 ihrem Schutzpatron gab. Seitdem wird es jedes Frühjahr mit Hingabe und Dankbarkeit, auch während der Bombenangriffe von 1943 und der Pandemie, geehrt. Es wurde um die Fürsprache von Ephysius gefleht, um die Pest zu stoppen, die die Stadt im 17. Jh. heimgesucht hatte. Der in Kleinasien im 3. Jh. n. Chr. geborene Ephysius war Offizier in der römischen Armee. Laut Überlieferung bekehrte er sich, nachdem er ein strahlendes Kreuz am Himmel erblickt hatte. Er war in Sardinien stationiert, wurde, während seine Soldaten gegen die Barbaren kämpften, zum Verteidiger des Christentums und widersetzte sich Diokletian. Der Kaiser befahl 303 n.Chr. dessen Martyrium. Vor seiner Hinrichtung versprach er als letzten Akt des Glaubens, Cagliari und dessen Bürger für immer zu schützen.